Sebastian Schonlau verließ den HSV kurz vor dem Bundesliga-Start in Richtung Kanada. Sein Wechsel steht bezeichnend für den seit dem Aufstieg vollzogenen Umbruch.
Blicken wir zurück in den Sommer 2021: Der Hamburger SV hatte gerade zum dritten Mal hintereinander die Rückkehr in die Bundesliga verpasst und stand wieder einmal vor einschneidenden personellen Veränderungen. Unter anderem gingen gestandene – extra für die jüngste Aufstiegsmission verpflichtete – Spieler wie Simon Terodde, Sven Ulreich, Aaron Hunt, Toni Leistner oder Klaus Gjasula.
Der HSV musste seinen Etat reduzieren und präsentierte Tim Walter als neuen Trainer, der angesichts der erschwerten Bedingungen vor allem für unterhaltsamen Offensivfußball sorgen sollte. Unter ihm wurde Daniel Heuer Fernandes wieder zum Stammtorhüter. Dazu kamen Spieler wie Robert Glatzel, Ludovit Reis, Jonas Meffert, Mario Vuskovic, Miro Muheim und Sebastian Schonlau.
Schonlau wird direkt Kapitän
Letztgenannter löste direkt Tim Leibold als Kapitän ab. „Es war eine schwere Entscheidung, weil Sebastian Schonlau und Tim Leibold die beiden Jungs sind, die unsere Mannschaft vorantreiben und gemeinsam mit dem Mannschaftsrat die Verantwortung übernehmen sollen. Um ein Stück weit auch neue Impulse zu setzen, fiel die Wahl auf Bascho“, erklärte Coach Walter seine Entscheidung.
Während Leibold anschließend kaum noch eine Rolle spielte und als Linksverteidiger von Muheim abgelöst wurde, avancierte Schonlau zur prägenden Figur und bildete mit Mario Vuskovic ein über eineinhalb Jahre hervorragend harmonierendes Innenverteidiger-Duo. Das Bundesliga-Comeback schien schon im Mai 2022 zum Greifen nahe, doch der HSV scheiterte in der Relegation trotz eines 1:0-Erfolges im Hinspiel an Hertha BSC.

Doch nur ein halbes Jahr später wurde das Innenverteidiger-Gespann durch die positiven Vuskovic-Dopingtests gesprengt. An der Seite von Schonlau agierten Jonas David oder Javi Montero – jedoch längst nicht so stabil wie der Vorgänger. Der HSV kassierte zwar zu viele Gegentore, stand aber dennoch mit eineinhalb Beinen in der Bundesliga, ehe Heidenheim durch Last-Minute-Tore in Regensburg doch noch vorbeizog und der erneute Gang in die Relegation folgte. Dort erwies sich der VfB Stuttgart (0:3/1:3) als deutlich zu stark.
Schonlau: Mehr als ein Kapitän
Schonlau, den Walter als seinen „verlängerten Arm“ bezeichnete, blieb von der fehlenden Kontinuität um ihn herum unbeeindruckt und rief regelmäßig seine Qualitäten ab. Ins Wanken geriert er erstmals in der darauffolgwenden Spielzeit. Durch ständige Wadenprobleme absolvierte der gebürtige Warburger in der Hinserie lediglich vier Partien. Immerhin hatte er seinen Vertrag bereits im August 2023 um zwei weitere Jahre verlängert.
„Wir freuen uns sehr, dass uns ,Bascho‘ sowohl mit seiner fußballerischen Qualität als auch mit seiner starken Persönlichkeit erhalten bleibt. Er hat sich von Tag eins an unseren gesetzten Ambitionen, Werten und Zielen verschrieben und lebt diese als Kapitän auf vorbildliche Art und Weise vor“, so der damalige Sportvorstand Jonas Boldt in der Vereinsmitteilung. Worten, denen sich Steffen Baumgart, Schonlaus Förderer in Paderborn und nach verpatztem Rückrundenstart Anfang 2024 auf Walter folgend, in der ZDF-Dokumentation „Always Hamburg“ anschloss: „Ich habe selten Spieler gesehen, der sich in der Persönlichkeit, was Professionalität, was Mannschaftsgefüge, was Einfluss, was Selbstverständnis angeht, eine so klare Entwicklung nehmen wie Bascho.“
Nur die Raute – Alle News rund um den HSV
Die seit vergangenen Freitag für jede Person zugänglichen Dokumentation gibt tiefe Einblicke in den HSV der letzten eineinhalb Jahre. Ganz offensichtlich war, wie viel Verantwortung Schonlau, in dem Mitspieler und Kumpel Meffert einen „perfekten Kapitän“ sah, übernahm. Sein Engagement ging weit über die normalen Aufgaben eines Führungsspielers hinaus. So brachte er sich auch abseits des Platzes mit Input ein oder vertrat den Verein bei öffentlichen Terminen.
Form und Stammplatz gehen verloren
Andere Akteure, die am Wochenende als Leistungsträger in Erscheinung traten, schienen sich hinter ihm zu verstecken. Schonlau, der die Walter-Entlassung als „persönliche Niederlage“ ansah, kämpfte aber mittlerweile vermehrt mit eigenen Problemen zu und fand nur schwer in die Saison 2024/25. Am neunten Spieltag handelte er sich bereits seinen zweiten Platzverweis ein. Zu Beginn der Rückserie – Merlin Polzin war inzwischen auf Baumgart gefolgt – verlor er seinen Stammplatz.

Der letzte Versuch, den langjährigen Kapitän nochmals in die erste Elf zu befördern, scheiterte beim 1:1 in Regensburg. Von nun an stand fest, dass sich Schonlau mit der Rolle als Innenverteidiger Nummer drei hinter Daniel Elfadli sowie Dennis Hadzikadunic zu begnügen hatte. Den HSV aufs Feld führte Reis, der sich in den dreieinhalb Jahren zuvor viel von seinem Mitspieler abschauen konnte.
Schonlau selbst nahm seinen Bankplatz klaglos hin und war zur Stelle, wenn er gebraucht wurde. Exemplarisch dafür steht das 4:0 in Darmstadt, wo er nach Einwechslung einen souveränen Auftritt hinlegte. „Ohne Bascho wären wir niemals aufgestiegen. Was er im Hintergrund für die Mannschaft geleistet hat – auch in den Momenten, als er nicht mehr die Spielzeit bekommen hat – war überragend und überstieg die Aufgaben eines Kapitäns“, schwärmte Polzin im Nachhinein. Beim Aufstiegsspiel selbst, dem 6:1 gegen Ulm, fehlte der Kapitän gelbgesperrt. Schon damals ließ sich erahnen, dass die langersehnte Rückkehr in Deutschlands höchste Spielklasse für reichlich Bewegung im Kader sorgen wird.
HSV: Aufstieg sorgt für Umbruch
Wenige Tage nach dem Ulm-Spiel ließ Sportvorstand Stefan Kuntz verlauten: „Wir müssen unsere Mannschaft verstärken, um eine Chance zu haben, in der Bundesliga eine Rolle zu spielen.“ Dementsprechend umtriebig handelte der HSV im Verlauf der Transferperiode. Neun Neuzugänge stießen zur Mannschaft, während elf Akteure sich eine neue Aufgabe suchten. Dazu gehörte auch Schonlau, dem zuvor das Kapitänsamt entzogen wurde. An seine Stelle trat der aus Leipzig gekommene Poulsen. Meffert sowie Nicolás Capaldo fungieren als Vertreter.
Im DFB-Pokalspiel gegen Pirmasens gehörte Schonlau nicht einmal mehr dem Kader an. Letztlich war die Trennung die logische Folge. Der HSV ließ ihn in die MLS zu den Vancouver Whitecaps – dem neuen Klub von Thomas Müller – ziehen. Doch nicht nur die Rolle des langjährigen Kapitäns veränderte sich, auch andere Akteure verloren an Einfluss. So zählten im Bundesliga-Auftaktspiel bei Borussia Mönchengladbach (0:0) nur drei Profis zur Startelf, die bereits länger als ein Jahr das Hamburger Dress tragen – nämlich Daniel Heuer Fernandes, Miro Muheim und Ransford Königsdörffer, der sich eigentlich schon auf dem Weg nach Nizza befand.

Keeper Heuer Fernandes musste im Duell mit Bayern-Leihgabe Daniel Peretz ebenfalls arg um seinen Stammplatz kämpfen. Nur Muheim, der aus einer Verletzung kommende Jean-Luc Dompé sowie Elfadli, der sich nach seinem Transfer aus Magdeburg hervorragend einfügte, sind weiterhin unumstritten. Emir Sahiti, der Licht und Schatten in der letzten Zweitliga-Spielzeit zeigte, dürfte derweil vom höheren fußballerischen Level auf Bundesliga-Niveau profitieren.
Auch für andere Aufstiegshelden wird es eng
Der zwar wieder zum Vizekapitän bestimmte Meffert hingegen verlor seinen Stammplatz zunächst an Nicolai Remberg und Capaldo, während der 80 Tore in 130 Einsätzen für den HSV produzierende Glatzel zu Stürmer Nummer drei hinter Poulsen und Königsdörffer degradiert wurde. Reis sollte gehalten werden, wechselte aber für rund sechs Millionen Euro zum FC Brügge wechselte. Toptorjäger Davie Selke entschied sich gegen eine Vertragsverlängerung.
Schon jetzt wird deutlich: Das Bundesliga-Comeback leitet eine neue Ära ein, deren Führungsfiguren sich in den kommenden Wochen und Monaten finden werden. Noch steht der Kader nicht vollends. Weitere Verstärkungen für Defensive sowie Offensive sollen kommen. Das Transferfenster hat bekanntermaßen noch bis Montag, den 01. September, geöffnet.
Der mit vielen warmen Worten verabschiedete Schonlau wird das Geschehen aus dem über 7.000 Kilometer entfernten Vancouver mit Sicherheit verfolgen und sich möglicherweise freuen nach der „wohl emotionalsten und krassesten Station“ seiner Laufbahn den Fokus – neben den Herausforderungen, die ein Umzug in ein bis dato fremdes Land mit sich bringt – ausschließlich aufs Fußballspielen richten zu können.
(Foto: Imago)